Fragen an Frau Prof. Bruns zur Workshop-Reihe
Frau Prof. Dr. Bruns führte beim WVER bereits erfolgreich zwei Workshops mit dem Titel „Gleichstellung fördern mit dem vermuteten Fremdbild“ durch, ein dritter wird folgen. In den ausgebuchten Workshops gab es einen regen Austausch zwischen den teilnehmenden Frauen und Männern. Mit Aha-Erlebnissen durch neue Wahrnehmungen von Rollenstereotypen und anderen Zuschreibungen ging es mit konkreten Maßnahmen zurück in den Arbeitsalltag.
Frau Prof. Bruns, warum ist Gleichstellungsarbeit wichtig?
Kerstin Bruns: Gleichstellungsarbeit ist wichtig, weil wir intelligente Lösungen für den gesellschaftlichen Wandel und sich „aufweichende“ Rollenstereotypen brauchen. Die finden wir aber nur, wenn wir vielfältige Perspektiven berücksichtigen und nutzen. Außerdem senkt ein Wir-Gefühl durch Gleichstellung das Konfliktpotential und motiviert für ein konstruktives Miteinander – auch im Konfliktfall. Und Job-Attraktivität für alle Geschlechter verhindert proaktiv den Fachkräftemangel und sichert damit auch das wirtschaftliche Überleben.
Noch was hierzu: Gleichstellungsarbeit funktioniert nur, wenn die Haltung dahinter auch stimmt. An der Haltung muss man aber arbeiten, und hier kommt das vermutete Fremdbild ins Spiel. Es eignet sich hervorragend, um unbewusste Zuschreibungen und Stereotypisierungen aufzudecken.
Bitte erläutern Sie uns den Begriff „vermutetes“ Fremdbild.
Kerstin Bruns: Beim vermuteten Fremdbild mache ich mir Gedanken darüber, was wohl der bzw. die Andere über mich denkt, welche Zuschreibungen (positive wie negative Vorurteile) er bzw. sie mir entgegenbringt. Das ist besonders spannend, wenn es um unbewusste Vorurteile geht, die aus einer Gruppenzugehörigkeit entstehen, z.B. Mann zu sein, Managerin zu sein, Rollstuhlfahrer, norddeutsch oder jung zu sein.
Wie kann man mit dem vermuteten Fremdbild an seinen Vorurteilen und Stereotypen arbeiten, und welche Vorteile hat diese Methode?
Kerstin Bruns: Indem man im Workshop die vermuteten mit den tatsächlichen Fremdbildern vergleicht und die Zuschreibungen diskutiert. Im Falle der Gleichstellungsarbeit sind das beispielsweise Bilder von Mann und Frau, Managerin und Manager, Verhalten von Männern und Verhalten von Frauen im Konflikt. Ein Frage- und Antwort-Austausch zu folgenden Beispielen ist dann bei der Ergebnisbesprechung der Gruppenarbeiten typisch: „Was meinst Du damit, dass Männer „zu selbstdarstellerisch“ sind? Ist die Eigenschaft „bestimmend“ für Dich positiv oder negativ besetzt? Du hast nur negative Eigenschaften über das vermutete Fremdbild von Frauen in Führungspositionen aufgezählt, ist Dir das bewusst, und wie kommt das? Ich sehe Dich gar nicht so kritisch wie Du denkst, ist Dir das schon aufgefallen?“
Vorteile der Methode liegen darin, die Sicht des oder der Anderen erfahren und diskutieren zu können – im Vergleich mit der eigenen Perspektive. So können insbesondere unbewusste, aber auch bewusste Vorurteile erkannt, eingestanden und gegebenenfalls umgedeutet werden. Auch können hier alle Beteiligten offen miteinander und nicht übereinander reden, um neue, gemeinsame Lösungswege zu finden.
Wie haben Sie die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen des WVER empfunden?
Kerstin Bruns: Als sehr engagiert und offen. Ich habe einen vertrauensvollen Austausch in konstruktiver Arbeitsatmosphäre erlebt, der von interessierter Neugier an den Lösungswegen und Erfahrungen der anderen Teilnehmenden geprägt war. Oft war auch ein nachdenkliches Überprüfen zur eigenen Haltung gegenüber Anderen zu spüren.
Können die Erkenntnisse aus dem Workshop in den Arbeitsalltag übertragen werden?
Kerstin Bruns: Natürlich. Insbesondere durch eine veränderte Wahrnehmung und bewusstere Entscheidung über eigene Verhaltensweisen. Das kostet noch nicht mal viel Zeit – „nur“ Veränderungsbereitschaft und eine bewusst wertschätzende Haltung. Was beispielsweise nicht heißt, dass ich mich nicht mehr über jemanden ordentlich ärgern darf – die Frage ist nur, wie ich es ihm oder ihr mitteile, und ob ich meinen Eigenanteil am Ärger sehe.
Bei konkreten Maßnahmen denke ich z.B. an Perspektivwechsel und daran, auf Vorurteile aufmerksam zu machen. Auch kurze, aber regelmäßige Feedbackrunden im Team und das Vereinbaren von Umgangsformen, die für alle Teammitglieder gelten, fallen mir ein. Und bekannt sind Mentoring-Programme, flexible Arbeitszeitregelungen, Quotenregelungen oder gendergerechte Stellenausschreibungen.
Wie kann jede oder jeder einzelne an dem Thema Gleichstellung mitwirken?
Kerstin Bruns: Indem jede oder jede die genannten Maßnahmen für sich umsetzt und den Wert der Gleichstellung individuell lebt. Besonders wichtig ist dabei, aus meiner Sicht, die Wachsamkeit für eigene, unbewusste oder nicht gewollte Zuschreibungen zu kultivieren, um zukünftig bewusst damit umgehen zu können. Das sollte auch durch das Netzwerken über die eigene Abteilung hinaus passieren, um als Multiplikatorin oder Multiplikator der Gleichstellung breite Wirkung zu erzielen.
Wie sehen sie die Rolle der Frau in der Zukunft?
Kerstin Bruns: In einem partnerschaftlichen Miteinander mit dem anderen Geschlecht. Rollenbilder sind dann im Einzelfall Grundlage zum Verhandeln und nicht automatisch als gegeben anzusehen. Das ist sicherlich anstrengend, erfordert Mitgefühl, Verhandlungsgeschick und die Bereitschaft zur Kooperation, aber ich denke, es lohnt sich für alle.
Zur Person:
Prof. Dr. Kerstin Bruns ist seit über 20 Jahren in der Gleichstellungsarbeit tätig. Seit 2002 arbeitet Sie freiberuflich als Business Coach, systemische Beraterin und Organisationsentwicklerin – insbesondere auch in der Beratung von Frauen in Führungspositionen. Zu ihrem Kundenkreis zählen Führungskräfte und verschiedenste Organisationen aus NRW, die von ihrer wissenschaftlichen und praxiserprobten Expertise profitieren – wie auch wir, der WVER. Seit 2014 ist sie zudem Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Führung und Organisation, an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management und arbeitet dort vornehmlich mit Studierenden im Dualen Studium.
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